AKTUELL hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass Kindergeld nicht mehr in Betracht kommt, wenn das Kind nach Abschluss der Ausbildung zur Diplom-Finanzwirtin mehr als 20 Stunden in der Finanzverwaltung arbeitet und in der arbeitsfreien Zeit Jura studiert (BFH-Urteil vom 7.4.2022, III R 22/21).
- Der Fall: Die Klägerin ist die Mutter einer 1999 geborenen Tochter, die im August 2020 ein Studium zur Diplom-Finanzwirtin erfolgreich abschloss. Anschließend nahm die Tochter eine Tätigkeit im gehobenen Dienst der Finanzverwaltung auf, die zunächst 40 Wochenstunden und ab Dezember 2020 28 Wochenstunden umfasste. Im Oktober 2020 begann die Tochter ein Studium der Rechtswissenschaften. Die Familienkasse lehnte eine Kindergeldgewährung wegen des Universitätsstudiums ab September 2020 ab, da sie der Auffassung war, dass die Tochter ihre Erstausbildung bereits mit dem Studium zur Diplom-Finanzwirtin abgeschlossen habe. Das Studium der Rechtswissenschaften sei eine Zweitausbildung, die wegen der zu umfangreichen Erwerbstätigkeit der Tochter kindergeldrechtlich nicht mehr berücksichtigt werden könne. Das Finanzgericht wies die dagegen gerichtete Klage ab. Der BFH hielt die Revision der Klägerin für unbegründet. Eine mehraktige Berufsausbildung sei nicht gegeben.
- Ob mehrere Ausbildungen zu einer einheitlichen Erstausbildung (mehraktige Berufsausbildung) zusammengefasst werden können oder es sich um eine Erst- und eine Zweitausbildung handelt, hängt von mehreren Faktoren ab. Zunächst setzt eine einheitliche Erstausbildung einen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen den Ausbildungsabschnitten voraus. Dies war im Streitfall durchaus gegeben. Aber: Die Ausbildung im zweiten Abschnitt muss die Haupttätigkeit des Kindes darstellen und nicht hinter die Erwerbstätigkeit zurücktreten. Insofern ist eine Gesamtbetrachtung durchzuführen. Da die Tochter bereits ein längerfristiges Beschäftigungsverhältnis im erlernten Beruf aufgenommen hatte, etwa gleich viel Zeit in die Ausbildung und in die Erwerbstätigkeit investierte und sich die Ausbildungszeiten nach den arbeitsfreien Zeiten richteten, sprach die Gesamtbetrachtung für eine berufsbegleitend durchgeführte Weiterbildung (Zweitausbildung). Daher kam es auf den Umfang der Erwerbstätigkeit an. Da dieser über der Grenze von 20 Wochenstunden lag, konnte kein Kindergeld gewährt werden.
PrüfschemaDie Rechtsprechung zum Kindergeld bei einem weiterführenden Studium oder einer ergänzenden Ausbildung ist äußerst kompliziert geworden. Folgendes Prüfungsschema kann aber bei der Frage, ob Kindergeld zu gewähren ist, weiterhelfen: 1.Handelt es sich um eine Ausbildung oder um ein Studium, das auf der ersten Ausbildung aufbaut? Falls ja: weiter mit 2. Falls nein, handelt es sich sozusagen um eine andere "Fachrichtung": Kindergeld wird nur gewährt, wenn nebenher keine Erwerbstätigkeit oder eine Tätigkeit von maximal 20 Wochenstunden ausgeübt wird. 2.Besteht ein zeitlicher Zusammenhang zwischen den beiden Ausbildungsabschnitten? Falls ja: weiter mit 3. Falls nein: Kindergeld wird nur gewährt, wenn nebenher keine Erwerbstätigkeit oder eine Tätigkeit von maximal 20 Wochenstunden ausgeübt wird.
3.Nutzt das Kind die Qualifikation, die es nach dem ersten Abschluss erlangt hat, bereits für einen Beruf, den es nun auch tatsächlich ausübt? Falls ja: Es deutet vieles darauf hin, dass die weitere Ausbildung nicht mehr Teil einer "Gesamtausbildung" ist. Folge: Kindergeld für die weitere Ausbildung wird voraussichtlich nicht gewährt, da die Berufstätigkeit in den Vordergrund getreten ist. Falls nein: Der Kindergeldanspruch könnte erhalten bleiben, da die weitere Ausbildung im Vordergrund steht. Es ist aber in beiden Fällen eine Gesamtbetrachtung mit Punkt 4 vorzunehmen.
4.Ist die Arbeitstätigkeit der weiterführenden Ausbildung übergeordnet und wird die Ausbildung mithin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild neben dem Beruf durchgeführt? Falls ja: In der Gesamtbetrachtung mit Punkt 3 wird das Kindergeld wohl entfallen. Falls nein: Das Kindergeld dürfte in der Gesamtbetrachtung mit Punkt 3 erhalten bleiben, denn die Ausbildung steht im Vordergrund. Eine berufliche Tätigkeit von mehr als 20 Wochenstunden spricht zwar gegen die Gewährung des Kindergeldes. Aber: Wird die 20-Stundengrenze nur geringfügig überschritten, ist dies eventuell unschädlich und die Berufsausbildung kann dennoch im Vordergrund stehen. Für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung kommt es auch darauf an, in welchem zeitlichen Verhältnis die Arbeitstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen zueinander stehen.
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HINWEIS: Der guten Ordnung halber sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das Gesagte natürlich gleichermaßen für die Frage der Gewährung des Kinderfreibetrages gilt.
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