Es gibt neben gesetzlicher oder privater Krankenversicherung einen weiteren Weg, sich für den Krankheitsfall abzusichern: die Solidargemeinschaften. Sie verstehen sich als solidarische Gruppen, die im Krankheitsfall finanziell füreinander einstehen und damit als soziale und solidarische Alternative zu den Krankenversicherungen. Die ersten Solidargemeinschaften entstanden vor fast 100 Jahren. Damals gründeten Polizisten und Pfarrer berufsspezifische Vereine dieser Art. In den letzten Jahrzehnten kamen offenere Vereine hinzu. Sie heißen Samarita, Artabana oder Solidago und haben inzwischen rund 20.000 Mitglieder. Allerdings gibt es ein steuerliches Problem: Die Finanzämter wollen die gezahlten Beiträge nicht als Sonderausgaben anerkennen, weil auf die Leistungen - vermeintlich - kein Rechtsanspruch besteht oder bestehen soll. Wie ist die steuerliche Rechtslage?
  • Krankenversicherungsbeiträge sind dann als Sonderausgaben absetzbar, wenn sie geleistet werden an Versicherungsunternehmen, die ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat haben und das Versicherungsgeschäft in Deutschland betreiben dürfen, oder denen die Erlaubnis zum Geschäftsbetrieb im Inland erteilt ist (§ 10 Abs. 2 Nr. 2a Satz 1 EStG).
  • Darüber hinaus werden Krankenversicherungsbeiträge nur berücksichtigt, wenn die Einrichtung eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V oder eine der Beihilfe oder freien Heilfürsorge vergleichbare Absicherung gemäß § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VVG gewährt (§ 10 Abs. 2 Nr. 2a Satz 2 EStG).
  • Im Jahre 2020 hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass Krankenversicherungsbeiträge an einen Solidarverein nur dann als Sonderausgaben absetzbar sind, wenn der Solidarverein als "Einrichtung" anzusehen ist, die eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall gewährt (§ 10 Abs. 2 Nr. 2a Satz 2 EStG) und - vor allem - wenn auf die Leistungen des Vereins ein Rechtsanspruch besteht (BFH-Urteil vom 12.8.2020, X R 12/19).
  • Mit dem Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege, das am 9.6.2021 in Kraft getreten ist, wurden Solidargemeinschaften gesetzlich legitimiert und Mitgliedschaften in bisher bestehenden Solidargemeinschaften als "anderweitige Absicherung im Krankheitsfall" angesehen. Konkret: Die Mitgliedschaft in einer Solidargemeinschaft gilt dann als anderweitige Absicherung im Krankheitsfall i.S. des § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V, wenn die Solidargemeinschaft am 20.1.2021 bereits bestanden hat und seit ihrer Gründung ununterbrochen fortgeführt wurde, sie beides dem Bundesministerium für Gesundheit nachweist und auf ihren alle fünf Jahre zu stellenden Antrag hin das Bundesministerium für Gesundheit jeweils das Vorliegen eines testierten Gutachtens über die dauerhafte Leistungsfähigkeit bestätigt (§ 176 SGB V). Folge: Die Beiträge sind (spätestens) seit der Gesetzesänderung dem Grunde nach als Sonderausgaben (Krankenversicherungsbeiträge) abziehbar. Es bleiben aber zum einen die Altfälle zu lösen, das heißt, über Sachverhalte vor Inkrafttreten des erwähnten § 176 SGB V gibt es noch gerichtlichen Streit. Zum anderen bleibt die - für das Steuerrecht - mitentscheidende Frage, ob auf die Leistungen des jeweiligen Vereins ein Rechtsanspruch besteht.

AKTUELL hat das Finanzgericht Münster zu einem Fall aus 2017 entschieden, dass die zur Krankheitsvorsorge gezahlten Beiträge an einen Solidarverein als Sonderausgaben absetzbar sind. Denn der Solidarverein gewährt im Krankheitsfall ein Versorgungsniveau, das das Niveau der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung erreicht und damit sowohl die Voraussetzungen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und auch gemäß § 193 Abs. 3 VVG erfüllt. Außerdem haben die Mitglieder gegen den Solidarverein einen rechtlich verbindlichen Anspruch auf Leistungen im Krankheitsfall (FG Münster, Urteil vom 1.3.2024, 11 K 820/19 E).

Anders hat das Finanzgericht die zur Pflegevorsorge gezahlten Beiträge an den Solidarverein beurteilt:

  • Als Sonderausgaben seien nur "Beiträge zu den gesetzlichen Pflegeversicherungen (soziale Pflegeversicherung und private Pflicht-Pflegeversicherung)" abziehbar (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. b EStG). Der Solidarverein gehöre jedoch weder zu den Trägern der sozialen Pflegeversicherung noch bietet er eine private Pflicht-Pflegeversicherung an.
  • Solidargemeinschaften im Gesundheitswesen leisten eine Absicherung nur im Krankheitsfall - nicht aber im Pflegefall. Mitglieder von Solidargemeinschaften bedürfen daher einer anderweitigen Absicherung für den Fall der Pflegebedürftigkeit. Eingeführt wurden, ebenfalls durch das o.g. DVPMG, zwei neue Versicherungspflichttatbestände in der Pflegeversicherung: § 21a SGB XI zur Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung bei Mitgliedern von Solidargemeinschaften und § 23 Abs. 4a SGB XI zur Versicherungspflicht in der privaten Pflege-Pflichtversicherung.

HINWEIS: Das Hessische Finanzgericht hatte die Klage des Mitglieds eines Solidarvereins - es ging offenbar um die Samarita - abgewiesen. Es führte aus, im Streitjahr 2016 habe seitens der Klägerin schon kein Rechtsanspruch auf Leistungen bestanden, so dass die anderen Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 EStG nicht mehr zu prüfen seien (Hessisches FG, Urteil vom 10.3.2022, 1 K 1029/18). AKTUELL hat der Bundesfinanzhof das Urteil des Hessischen FG jedoch aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen. Vielleicht könnte doch ein Rechtsanspruch auf Leistungen bestehen, der zum (unbegrenzten) Abzug der Beiträge wie bei einer Basis-Krankenversicherung führen würde. Das ist ein weiterer (Teil-)Erfolg für die Mitglieder der Solidargemeinschaften, speziell der Samarita (BFH-Urteil vom 23.8.2023, X R 15/22). Das Urteil samt Begründung ist extrem komplex. Letztlich haben die Richter des BFH das Vertragswerk, das heißt die Satzung des Solidarvereins, genauestens studiert und den Richtern der Vorinstanz vorgeworfen, eben dies nicht hinreichend getan zu haben. Fast schon wie eine schallende Ohrfeige klingt folgender Satz aus der Urteilsbegründung: "Vor allem aber lässt das Finanzgericht mit seiner selektiven Zitierweise außer Acht, dass sich in demselben ´Argumentarium´ mehrfach Formulierungen finden, die für das Bestehen eines Rechtsanspruchs sprechen."

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Steuertipp der Woche vom 9.9.2024