Die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist für die betroffenen Mitarbeiter meist sehr schmerzlich. Zur gütlichen Trennung werden sie daher häufig mit einem goldenen Handschlag verabschiedet und erhalten zum Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung. Die Abfindung ist eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1a EStG und gehört damit zu den "außerordentlichen Einkünften". Und für diese außerordentlichen Einkünfte gibt es eine Steuervergünstigung: die ermäßigte Besteuerung nach der sog. Fünftelregelung (§ 34 EStG).
Oftmals kommen die entlassenen Arbeitnehmer in einer Auffanggesellschaft - einer sog. Transfergesellschaft - zum Zwecke der Fortbildung unter und erhalten - gegebenenfalls neben der Abfindung - Transferkurzarbeitergeld von der Arbeitsagentur sowie Aufstockungsbeträge von der Transfergesellschaft. Betroffen waren zum Beispiel die Mitarbeiter des ehemaligen OPEL-Werks in Bochum. Auf Veranlassung von OPEL wurde mit den Arbeitnehmern und der Firma TÜV NORD Transfer GmbH ein Vertrag geschlossen. In diesem Vertrag wurde das Arbeitsverhältnis zwischen OPEL und dem jeweiligen Arbeitnehmer gegen Zahlung einer Abfindung aufgehoben und beendet. Zudem begründeten der Arbeitnehmer und die TÜV NORD Transfer im Anschluss ein befristetes Arbeitsverhältnis. Das gesetzliche Transferkurzarbeitergeld wurde von der TÜV NORD Transfer durch einen Zuschuss aufgestockt. Die Frage ist, ob diese Aufstockungsbeträge wie laufender Arbeitslohn zu versteuern sind oder ob sie Teil der Abfindung und damit steuerermäßigt sind.
AKTUELL hat der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass Aufstockungsbeträge zum Transferkurzarbeitergeld, die ein Arbeitnehmer von einer Transfergesellschaft erhält, in der er übergangsweise "beschäftigungslos angestellt" ist, laufender Arbeitslohn sind. Sie unterliegen damit nicht dem ermäßigten Steuertarif nach der Fünftelregelung. Der BFH hat das positive Urteil des Finanzgerichts Münster vom 15.11.2017 (7 K 2635/16 E) aufgehoben (BFH-Urteil vom 12.3.2019, IX R 44/17).
- Der Fall: Der Kläger wechselte - nach mehr als 24 Jahren Beschäftigungszeit - wegen der Stilllegung eines Werkes des Arbeitgebers zu einer Transfergesellschaft. Für die einvernehmliche Aufhebung des langjährigen Beschäftigungsverhältnisses zahlte der bisherige Arbeitgeber dem Kläger eine Abfindung. Gleichzeitig schloss der Kläger mit der Transfergesellschaft ein befristetes Arbeitsverhältnis für die Dauer von zwei Jahren mit dem Ziel ab, dem Kläger Qualifizierungsmöglichkeiten zu eröffnen und seine Arbeitsmarktchancen zu verbessern. Den Kläger trafen arbeitsvertraglich geregelte Mitwirkungs- und Teilnahmepflichten. Er hatte den Weisungen der Transfergesellschaft zu folgen. Ein Beschäftigungsanspruch bestand nicht.
- Grundlage für das neue Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft war die Gewährung von Transferkurzarbeitergeld gemäß § 111 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III). Die Transfergesellschaft verpflichtete sich zur Zahlung eines Zuschusses zum Transferkurzarbeitergeld. Das Finanzamt behandelte die Aufstockungsbeträge als laufenden, der normalen Tarifbelastung unterliegenden Arbeitslohn. Der Kläger war demgegenüber der Auffassung, es handele sich um eine ermäßigt zu besteuernde Entschädigung für den Verlust seines früheren Arbeitsplatzes.
- Der BFH bestätigte die Auffassung des Finanzamts. Die Aufstockungsbeträge seien dem Kläger aus dem mit der Transfergesellschaft geschlossenen Arbeitsverhältnis zugeflossen und durch dieses unmittelbar veranlasst. Daher stellten sie eine Gegenleistung für die vom Kläger aus dem Arbeitsverhältnis geschuldeten Arbeitnehmerpflichten dar. Der Annahme von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit stehe nicht entgegen, dass der Kläger weder einen Anspruch auf Beschäftigung gegenüber der Transfergesellschaft hatte noch diese zur tatsächlichen Beschäftigung des Klägers verpflichtet war. Der BFH begründete dies damit, dass ein Arbeitgeber auf die Arbeitsleistung eines Mitarbeiters auch ganz verzichten könne, ohne dass dies Einfluss auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses habe.
HINWEIS: Das Urteil betraf das Streitjahr 2015. Viele ehemalige OPEL-Mitarbeiter hatten auch gegen ihre Steuerbescheide 2016 Einspruch eingelegt und beantragt, die Zuschüsse zum Transferkurzarbeitergeld dieses Jahres ebenfalls ermäßigt zu besteuern. Soweit diese Verfahren nicht ohnehin erledigt waren, dürften sie spätestens jetzt “verloren” sein. Doch nicht nur ehemalige OPEL-Mitarbeiter sind betroffen. Vielmehr müssen auch andere Arbeitnehmer, die in Transfergesellschaften tätig sind, mit einer vollen Versteuerung der Zuschüsse zum Transferkurzarbeitergeld rechnen. Im Nordrhein-Westfalen sind das zum Beispiel die Mitarbeiter der Fujitsu Technology Solutions GmbH in Paderborn.
Weitere Informationen: Abfindung wegen Auflösung des Arbeitsverhältnisses